Dipl.-Ing. Architekt AKNW Stefan Apetz

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Fachpresse-Artikel - November 2002

veröffentlicht in der DBZ Deutsche Bauzeitschrift

 

 

Passivhaus-Bürogebäude

Energiesparen in neuen Dimensionen

Autor: Dip.-Ing. Architekt Stefan Apetz

 

 

In Ulm entsteht derzeit in direkter Nachbarschaft zu Universität, Daimler-Chrysler, Nokia und dem Ulmer Expo-Gelände mit Passivhaus-Wohnsiedlung im "Science Park II" das weltweit größte Bürogebäude im Passivhaus-Standard nach dem Entwurf der Architekten oehler + arch kom aus Bretten. Bauherr ist die Software AG-Stiftung, Darmstadt. Anfang 2003 wird die Entire Software AG aus Ulm als Hauptmieter einziehen. Das fünfgeschossige Atrium-Gebäude mit ca. 7.000 m² Nutzfläche für 420 Mitarbeiter in Forschung & Entwicklung eröffnet eine ganz neue Dimension in der Solararchitektur: Der wesentliche Unterschied zu einem kleinen Wohnhaus ist das bei kompakten Großgebäuden extrem günstige Verhältnis von Außenfläche zu Volumen (A/V hier: 0,22 1/m). Dadurch ergeben sich neue Planungsfreiheiten und technische Lösungsmöglichkeiten - so spielt z.B. eine Südorientierung keine Rolle mehr und zur Eindeckung des 300 m² Atriumdachs reicht Zweifach-Wärmeschutzverglasung aus. Die internen Wärmegewinne von Geräten, Beleuchtung und Personen erzeugen so viel Abwärme, dass das hauptsächliche Augenmerk eher auf ein intelligentes Kühlkonzept im Sommer gerichtet werden muss.

Betonkerntemperierung mit Erdsonden

Die Stahlbetonskelett-Konstruktion mit Holzfassadenelementen konnte durch einen hohen Wiederholungs- und Vorfertigungsgrad sehr schnell und wirtschaftlich hergestellt werden. Das Tübinger Ingenieurbüro für Energieberatung, Haustechnik und ökologische Konzepte (ebök) entwickelte ein Energiekonzept mit Erdreichspeicherung, um eine sommerliche Klimatisierung mit geringstmöglichem Energieaufwand zu ermöglichen. Die Pfahlgründung diente zur Unterbringung von 40 je 100 m tiefen Erdsonden zur Betonkerntemperierung mit wasserdurchströmten Rohrregistern in den Betondecken (tagesmittlere Leistung ca. 120 kW, Kühlleistung 12 kWh/m²a). Über einen Wasserkreislauf wird das Erdreich als riesiger saisonaler Wärme- bzw. Kältespeicher im Jahresrythmus be- und entladen. Im Sommer wird überschüssige Wärme aus der Betonkerntemperierung in das Erdreich geleitet und im Winter wieder entnommen, um damit auch die Zuluft vorzuwärmen. Der Erdspeicher bedarf keiner besonderen Umbaumaßnahmen, das Erdreich wird mit seiner natürlichen Speicherkapazität direkt genutzt. An den Deckenunterseiten entsteht eine riesige Strahlungsfläche, die im Sommer kühlt und im Winter wärmt - mit dem Unterschied zu konventionellen Kühldecken, dass die Vorlauftemperatur nur minimal von der Raumtemperatur abweicht. Sie bewegt sich zwischen 18°C im Sommer und 25°C im Winter. Diese geringen Temperaturdifferenzen werden ermöglicht, da in einem thermisch sehr trägen Gebäude die benötigten Energiemengen entsprechend gering sind. Die Benutzer spüren weder Strahlungswärme noch -Kälte. Der Komfortbereich von 20°C bis 26°C Raumtemperatur wird nur in seltenen Fällen verlassen.

 

 

Atrium als Frischluftzentrale

Ebenfalls einbetoniert in den Decken befinden sich die horizontalen Zu- und Abluftkanäle (1.650 m Gesamtlänge) Das Zuluftkanalsystem ist somit vollständig unsichtbar. In der Tiefgarage befindet sich die Zuluftzentrale mit vorgeschaltetem 28 m langen Erdreichwärmetauscher - ein Betonrohr mit Befeuchteranlage, Innendurchmesser 1,80 m. über ein Verteilsystem im Untergeschoss wird die Zuluft mit 4 großen Schnorcheln in das Atrium eingeblasen. Das Atrium übernimmt die Funktion eines riesigen Zuluftkanals, von dem sich jedes Büro Frischluft ansaugt. Die Verteilung erfolgt zu den außenliegenden Räumen durch die Zuluftkanäle und zu den innenliegenden Räumen direkt über die Atrium-Innenfassade mit einfachverglasten Bürofenstern. Räume mit Sondernutzungen (Kantine, Küche, Konferrenzräume) werden mit bedarfsabhängigen Volumenströmen direkt versorgt. Die Zuluft sorgt in diesem Energiekonzept hauptsächlich für hygienische Luftverhältnisse und wird nicht zusätzlich mit starken Heiz- oder Kühlfunktionen belegt. Dadurch lassen sich Luftgeschwindigkeit und Vorlauftemperatur der Zuluft auf ein Optimum reduzieren. Über die Flurzonen wird die Abluft in die Dachzentrale zum Wärmetauscher mit 75% Rückwärmegrad geleitet. Zur Verkürzung des Luftkanalsystems erfolgt der Wärmeaustausch über ein hydraulisches System. Der Wärmebedarf wird gedeckt über eine geregelte Kombination aus Erdreichwärmetauscher, Lüftungswärmerückgewinnung und den Erdsonden. Die Deckung des Restheizwärmebedarfs von ca. 17 kWh/m²a erfolgt über einen Fernwärmeanschluss aus Kraft-Wärme-Kopplung (Anschlussleistung 185 kW). Je nach Bedarf kommen so mehr oder weniger Stufen dieser Staffel zum Einsatz. Die minimalen Gesamtverbrauchskosten für Heizung, Kühlung und Lüftung mit Luftbefeuchtung sind mit ca. 14.200 € jährlich veranschlagt, das entspricht gerade mal 2 €/m² bzw. 34 € je Mitarbeiter. Ergänzt wird das Energiekonzept durch eine 150 kWp PV-Anlage mit ca. 134.000 kWh Jahresstromertrag: Die Flachdachbereiche wurden mit Photovoltaik-Folie abgedichtet.

Vorgefertigte Holzelementfassade

Die Außenfassade ist eine gebäudespezifische Neuentwicklung. Vorgefertigte geschosshohe Holzkonstruktionen wurden als Fassadenelemente an die Geschossdecken angehängt, so dass die räumlich gekrümmte Fassade vertikal wie horizontal in Polygonzüge mit minimalen Knicken aufgeteilt wurde. Geschossweise konnte durchgängig je ein Elementtyp wiederholt werden, so dass Vorfertigung und Montage sehr wirtschaftlich realisiert werden konnten. Die mit Mineralwolle gedämmten Elemente wurden innenseitig über den Stoßfugen Luftdicht verbunden und aussenseitig mit einer hinterlüfteten Faserzementfassade verkleidet. Das gesamte Gebäude erreichte beim Blower-Door-Test einen n50-Wert von 0,2 1/h. Eine filigrane Stahlkonstruktion vor der Fassade trägt auskragende Wartungsstege aus dünnen Stahlprofilen. Geschützt und unauffällig im Hinterlüftungsraum befinden sich Dachentwässerung und Lichtlenkjalousien als Blend- und Überhitzungsschutz oder zur Tageslichtlenkung an die Decken. Die Nutzer können die zentrale Steuerung des Sonnen- und Blendschutzes in Ihren Räumen individuell überlagern. Die möglichst gute Versorgung aller Räume mit Tageslicht verbessert das Arbeitsklima und reduziert den Energiebedarf für Wärme und künstliche Beleuchtung. Eine im Scheibenzwischenraum der ZweifachIverglasung über dem Atrium platzierte semi-transparente Silberfolie, die über kleine Elektromotoren ein- und ausgefahren werden kann, erfüllt die Anforderungen an Lichtdurchlässigkeit und Wärmereflexion gleichzeitig. Auch bei geschlossener Sonnenschutzfolie gelangt noch ausreichend Tageslicht in das Atrium.

High-Tech zu kleinen Preisen

Abgerechnet wird zum Schluss: Das Pilotprojekt wird gefördert durch Zuschüsse der Stadt Ulm, des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie fördert ein Monitoring Programm, das die ersten 2 Jahre mit über 200 Messpunkten das Gebäude in seinen Funktionen genau analysiert. Das Gebäude wird durch das Passivhaus-Institut in Darmstadt zertifiziert. Die Baukosten für die Kostengruppen 300+400 nach DIN 277 wurden mit ca. 1.400 €/m² kalkuliert. Zur Beurteilung der wirtschaftlichen Aspekte sind bei diesem Gebäude besonders zu beachten:

- Die Haustechnik ist insgesamt weniger umfangreich als bei einem konventionellen Bürogebäude. Eine übliche Ausstattung mit Klimatisierung und Zentralheizung mit Heizkörpern und Rohrleitungsnetz konnte eingespart werden. Durch die Zuluftverteilung über das Atrium wurde das Rohrnetz stark vereinfacht (Wegfall der vertikalen Verteilung).

- Auch die thermisch hochwertige Außenfassade mit Dreifachverglasung konnte als extreme Leichtbau-Konstruktion kostengünstig erstellt werden.

- Die Unterbringung der Erdsonden in der Gebäudegründung verursachte kaum nennenswerte Zusatzkosten.

- Der Ausbaustandard wurde hier auf einem moderaten Niveau gehalten. Der Bereich Innenausbau hat in der Regel den größten Einfluss auf die Höhe der Baukosten.

- Aufgrund der geringen Nebenkosten kann der Investor eine höhere Kaltmiete erzielen. Auch die Wartungskosten sind langfristig gering, da die Haustechnik wenig störanfällig ist.

Insgesamt ist die Passivhausbauweise bei Großgebäuden also nicht nur sehr umweltfreundlich, sondern auch wirtschaftlich interessant. Nach zehnjähriger positiver Erfahrung mit ca. 2000 Passivhäusern, überwiegend im Bereich bis 150 m² Wohnfläche erscheint dieses Einzelgebäude mit 7.000 m² Nutzfläche wie der Übergang vom Kleckern zum Klotzen im Passivhaus-Standard. Der hier ausgeführte Gebäudetyp mit verglastem Atrium erscheint dabei richtungsweisend mit den Vorteilen Gebäudekompaktheit, kostengünstiger Innenfassade und einfacher Frischluftverteilung. Und zusätzlich entsteht dabei ein vielfach nutzbarer Innenraum.

 

Dipl.-Ing. Architekt Stefan Apetz, Bielefeld, November 2002

 

 

Das Bürogebäude Energon in Ulm finden Sie im Internet unter:

http://www.energon-ulm.de